Healing of a refugee - english
M. ist nicht auf den Bildern dieses Artikels abgebildet.
Eine Frau ruft mich Mitte Mai 2018 an, um einen Termin für einen Flüchtling aus Syrien zu vereinbaren. Ein Flüchtling? Schreckliche Bilder schießen mir in den Kopf.
Einige Tage später kommt zu meinem Erstaunen ein ganz normaler junger Mann in meine Praxis. Er ist 26.
M. leidet unter Panik-Attacken, Depressionen, PTSD, der Angst verrückt zu werden, der Angst vor dem Tod, Traurigkeit, Einsamkeit, körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schmerzen, Krämpfen, Schlaflosigkeit, weil er vermeintlich Bomben hört und Zukunfts-Ängste hat.
Er kann sich nicht konzentrieren und leidet unter Schuldgefühlen, weil er noch am Leben ist, wo doch so viele seiner Freunde tot sind. Er hat Gewicht verloren.
Seine Panik-Attacken werden von körperlichen Symptomen ausgelöst und veranlassen ihn immer wieder in Krankenhäusern vorstellig zu werden, ohne dass etwas gefunden werden kann. Das, was ihn am meisten verunsichert, ist das Gefühl von der Realität getrennt zu sein und nicht zu wissen, ob das was er gerade erlebt, real ist oder nicht.
Der Psychologe, den er gesehen hat bevor er zu mir kam, schlug M. vor, sich von einem Psychiater Psychopharmaka verschreiben zu lassen. Seine Angst, davon abhängig zu werden, hinderte ihn daran und veranlasste ihn nach einer Alternative zu suchen.
Als wir eine Woche später mit unserer ersten Stunde anfangen, leidet er unter Halsschmerzen. Er fragt mich immer wieder, ob er wirklich hier in meiner Praxis sitzt. Die Angst verrückt zu werden und mental zu erkranken ist enorm.
Ich gebe ihm eine kurze Einführung in EFT. Sich auf ein Thema zu konzentrieren ist unmöglich. Und so klopfen wir alles, was ihm gerade in den Sinn kommt, wie z.B. das Ende einer Beziehung vor sieben Jahren in Damaskus. Seine Freundin, die er vorgehabt hatte zu heiraten, war mit seinem Freund fremdgegangen und M. war immer noch maßlos enttäuscht, traurig und wütend darüber.
Sein Großvater war etwas später in einem Autounfall ums Leben gekommen.
Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Magenschmerzen tauchen auf und verschwinden wieder, je nachdem was wir gerade ansprechen. Er erfährt den Zusammenhang zwischen Psyche und Körper, das beruhigt ihn.
In dieser ersten Sitzung erkundige ich mich nach einer Zeit, in der es ihm gut gegangen ist. Er braucht eine Erinnerung, eine Ressource, die ihm in den nächsten Monaten Kraft spenden kann. Er beschreibt mir stolz einen selbstbewussten, klugen, goldigen und ehrlichen 11-jährigen Jungen. In dieser Zeit ging es ihm gut, er fühlte sich sicher und geliebt.
Damit beenden wir unsere erste Sitzung. Ich gebe ihm einen kleinen positiven Satz zum Klopfen für zu Hause mit.
Es mag absurd erscheinen, mit jemandem zuerst an seiner Traurigkeit wegen einer verlorenen Liebe zu arbeiten, der so viele schlimme Situationen in seinen jungen Jahren überlebt hat. Jemand, der seine Freunde sterben sah und viele andere Menschen auch, der die Gewalttaten der Regierung an der Bevölkerung in Damaskus erlebt hat, der verschleppt und gefoltert wurde und eine beängstigende und schreckliche Reise nach Europa antreten musste.
Es ist das richtige Konzept, denn seine Stimmung hat sich verbessert und er leidet weniger an Dissoziation, als er zur zweiten Sitzung erscheint.
Er spricht über seine verstorbene Großmutter, die er sehr vermisst und ich gebe ihm die Möglichkeit, sich von ihr zu verabschieden.
Wir nutzen nicht nur EFT, sondern auch Energie-Medizin in den nächsten Behandlungsstunden, um seinen zerrütteten Energie-Haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Nach nur vier Sitzungen meint er, er fühle sich um 40 % besser als vor unserer ersten Sitzung.
M. leidet unter Einsamkeit und fühlt sich isoliert ohne seine Familie, die teilweise in Ägypten ist, auch wenn er täglich mit vielen Menschen zu tun hat.
Er kam 2015 nach Belgien und arbeitet seither in einem sozialen Projekt für Flüchtlinge, das er mit aufgebaut hat. Die Verantwortung für dieses Projekt erdrückt ihn manchmal. Er verausgabt sich ständig. Grenzen setzen kann er nicht, da er davon überzeugt ist, nicht nein sagen zu dürfen; er möchte nicht unhöflich sein.
Aber auch das bessert sich im Laufe der Zeit und es gelingt ihm immer mehr auf sich selbst zu achten.
Die Wut auf einen ehemaligen Mitarbeiter lässt ihn nicht los, er schürt Hassreden in seinem Kopf und wir müssen eine ganz Weile klopfen, bis der Ärger verraucht ist.
Nicht mit seinen Gefühlen verbunden zu sein, an nichts mehr Freude zu haben, Energielosigkeit, die Angst zu reisen und Fehler zu machen sind die nächsten Themen auf unserer Agenda.
Ein altes Trauma kommt hoch, als wir uns diesen Themen widmen: er war als 6-jähriger fast missbraucht worden und in letzter Sekunde von seinem Vater gefunden worden. Gefühle wie Scham, Schock und Schuld plagen ihn und müssen aufgelöst werden. Er hatte nicht auf seinen Vater gehört war und mit jemandem mitgegangen.
Eine Reise nach Deutschland steht an. Kurz davor ruft er mich an. Er hat schreckliche Angst, von der Polizei festgehalten zu werden und keinen Pass zu haben, obwohl er einen hat. Verständliche Ängste: in Damaskus wurden Menschen ohne Pass deportiert. Nach unserer Stunde fühlt er sich gut gerüstet für seine Reise.
Die Reise sei gut verlaufen, berichtet er danach, dennoch habe er sich in Deutschland nicht sicher gefühlt. Panik und Ängste hätten ihn geplagt, da Deutschland an das völlig überfüllte Flüchtlingscamp in Rostock erinnerte, in dem er als Durchreisender gewesen war, bevor er nach Belgien kam.
Wir beginnen, die Reise von Syrien nach Europa aufzuarbeiten und alle bedrohlichen Situationen und die damit zusammenhängenden Gefühle aufzulösen.
Als ich ihn nach drei Wochen Ferien im August wiedersehe, berichtet mir ein strahlender M., dass er sich zum ersten Mal wie ein normaler Mensch gefühlt habe.
Schlimmes Nasenbluten hatte in der Nacht allerdings zu Panik geführt. Während wir klopfen kommen Erinnerungen an Schiessereien, Schreie und Schüsse von Gewehren in Damaskus und den Verlust seines besten Freundes hoch; begleitet von dem Gefühl wegrennen zu müssen, aus seinem Körper fliehen zu müssen, Dissoziation, Angstzuständen und Stress.
EFT hilft auch dieses Mal, die negativen Gefühle aufzulösen,
die mit diesen Erinnerungen verbunden sind. Auch zu Hause nutzt er die Technik,
wenn er seinen Ängsten alleine ausgesetzt ist. Seine Freunde sind skeptisch und
können seine Begeisterung nicht ganz teilen, wenn er ihnen von EFT erzählt.
In der nächsten Sitzung erzählt er mir von zwei Alpträumen, die ihn heimgesucht haben, die wir zusammen analysieren und verständlich machen. Schlecht Schlafen bleibt ein immer wiederkehrendes Thema. Ohne laufenden Fernseher kann M. nicht einschlafen. In Syrien hatte ihm der Fernseher Sicherheit und Entspannung verschafft und ihn vom Lärm der Bomben abgelenkt.
Manchmal reicht es, ganz logisch an die Dinge heranzugehen: In Belgien fallen keine Bomben, er ist in Sicherheit, das beim Klopfen laut auszusprechen hilft. In der darauffolgenden Sitzung sagt er mir, dass er den Fernseher zum Einschlafen nicht mehr eingeschaltet habe.
Der Grossteil seiner Symptome ist inzwischen verschwunden.
Ende September kommt er erschöpft und müde in die Praxis, er hat sich in seiner Arbeit verausgabt und wenig geschlafen.
Ich schlage ihm vor, ein großes Board zu machen, wo er alle Aktivitäten, die er vorhat und in seinem Kopf hin- und herwälzt, aufzeichnen kann, um über diese Dinge nachts nicht mehr nachdenken zu müssen und sie visuell vor sich zu haben. M. setzt alles sofort um.
In die nächste Sitzung kommt er mit Kopfschmerzen. Ihm ist nicht klar, wie er bei so viel Verantwortung in seiner jetzigen Arbeit sein eigenes Unternehmen aufbauen kann. Er fühlt sich überfordert und hat keine Idee, woher das Geld kommen soll. Zudem ist sein Bruder kürzlich in Brüssel angekommen und die Zeit fehlt, um ihm zur Seite zu stehen.
Eine Aufstellung bringt Klarheit und Sicherheit. Er sieht, dass er sein jetziges Projekt aufgeben kann. Er braucht einen Partner, um ein eigenes Business zu gründen und möchte nebenbei ein Studium zur Unternehmensführung absolvieren.
Seine Kopfschmerzen sind nach der Sitzung verschwunden.
Mit dem Emotion Code lösen wir in der nächsten Sitzung sechs unterschiedliche Emotionen auf, die ihn an seinem Schlaf hindern. Er berichtet in der Woche danach, dass er zumindest für zwei Nächte sehr tief geschlafen habe.
Allerdings, so meint er, habe er die schlimmste Woche hinter sich, die man sich vorstellen kann. So viel habe er noch nie gearbeitet! Ein Mitarbeiter ist ausgefallen und er musste einspringen, musste Doppelschichten machen. Er ist über sich selbst erstaunt, da er niemanden angeschrien, sich nicht überfordert gefühlt hat und ruhig bleiben konnte.
Zudem hat er dem Vorstand mitgeteilt, dass er ab April 2019 nicht mehr für das Projekt zur Verfügung stehen würde und hat die mündliche Zusage, einen Teil des bisherigen Projektes selbständig weiterführen zu können. Einen Business-Partner habe er auch gefunden. Dem Traum vom eigenen Business steht nun nichts mehr im Wege.
M. ist seit 6 Monaten in Behandlung. Fast alle am Anfang aufgeführten Symptome sind verschwunden. Wir witzeln über die Probleme, die er jetzt hat. Sie erscheinen lächerlich im Vergleich zu den Problemen, mit denen er vor 6 Monaten zu mir kam.
Wir hoffen beide, dass seine Geschichte Inspiration und Hoffnung für viele sein möge, denen es momentan nicht gut geht.
Er sagte mir neulich:
„Du musst an Dich glauben und Du hast immer die Wahl, auch das Positive zu sehen.“
Ich bin sehr dankbar und fühle mich geehrt, diesen offenen, ehrlichen, mutigen jungen Mann begleiten zu dürfen.